I generally only publish in English. However, in this case I am making an exception, because I think that most people I’m trying to reach would not understand English well enough, or at all. I may provide an English translation later.
In Steinegg wurde vor kurzem der Neubau des Altenpflegeheims St. Josef eröffnet. Das alte Gebäude in der Ortsmitte, das in den letzten ca. 30 Jahren Heimat für das Altenpflegeheim war, sollte gemäß der ursprünglichen Pläne abgerissen werden.
Vor einigen Wochen habe ich zum ersten Mal gehört, dass von Seiten des Enzkreises Interesse besteht, das nunmehr leer stehende Haus zu kaufen, um dort ein zentrales Asylanten-Wohnheim für den Enzkreis unter zu bringen. Diese Information hat mich spontan gefreut, da so das vorhandene Gebäude weiter, und auf sehr sinnvolle Art, genutzt werden kann. Vor wenigen Tagen jedoch fanden Einwohner Steineggs folgendes Informationsblatt in ihren Briefkästen.
Als unmittelbare Reaktion auf dieses Informationsblatt habe ich einige Kommentare zusammen gefasst. Beide Dokumente, das Informationsblatt sowie meine Kommentare sind hier zum Download:
Es geht allerdings nicht darum, lediglich auf das Informationsblatt zu antworten. Nebenbei, antworten wem? Das Informationsblatt ist anonym. Befremdlich ist es schon, vor allem wenn man die weitestgehend sehr einseitige, unsachliche und argumentativ sehr schwache Information liest. Vermutlich wird sich der/die Autor(en) bei der geplanten Bürgerversammlung in Steinegg am Freitag zu erkennen geben. Es lässt jedoch vor allem den Mut vermissen, sich mit einer Unterschrift, individuell oder als Gruppe, hinter die vertretene Meinung zu stellen.
Es ist auch völlig unklar, in wie weit die vertretene Meinung repräsentativ ist. Im Artikel “Asyl-Flugblatt sorgt in Steinegg für Wirbel” der Pforzheimer Zeitung vom vergangenen Dienstag, 24.12.2013 wird deutlich, dass es sehr wohl auch andere Stimmen gibt.
Ich denke es ist notwendig selbst Stellung zu beziehen und ich will dies im folgenden tun:
Mein ursprünglicher Gedanke, als ich von den Plänen, in Steinegg ein Asylanten-Wohnheim im leer stehenden ehemaligen Altenpflegeheim einzurichten, gehört habe, war in etwa ein “Oh prima, dann wird ja doch etwas sinnvolles mit dem Gebäude gemacht”. Nicht mehr, nicht weniger. Macht mir die baldige Anwesenheit von ca. 50 Asylbewerbern in meiner Nachbarschaft Angst? Nein. Würde es mir Angst machen, wenn dies in meiner unmittelbaren Nachbarschaft passieren würde? Nein. Es würde lediglich die Wegzeit verkürzen, wenn ich die neu eintreffenden Asylbewerber besuchen wollte um sie willkommen zu heißen und sie kennen zu lernen. Aber mit der Angst einiger Mitbürger, vor allem der in unmittelbarer Nachbarschaft zum geplanten Wohnheim in der Ortsmitte in Steinegg, muss ich mich schon auch auseinander setzen. Ich will sie Ernst nehmen und den Menschen mit Respekt begegnen. Und gleichzeitig doch auch fest zu meiner Position stehen.
Zum Beispiel hierzu. Ich lese regelmässig die PZ News, um über Nachrichten aus der Region auf dem laufenden zu bleiben. Und auch wenn ich mich nicht für die Artikel aus dem Panorama Teil interessiere, die Überschriften und ersten drei Zeilen sehe ich doch im RSS Reader. Und oft lese ich dort von Diebstahl, Körperverletzung, Verkehrsdelikten, Unfällen und allerlei ähnlichem. Oft heißt es dann “ein soundso alter Mann aus” oder “eine Person aus <beliebige Staatsangehörigkeit>” und ähnliche Formulieren. Ich kann mich nicht erinnern – auch wenn ich nicht ausschließe dass solche Fälle existieren – dass ich viele Artikel mit dem Verweis auf Asylbewerber lese. Mir scheint, der durchschnittliche Asylbewerber ist nicht mehr oder weniger strafrechtlich auffällig wie jede andere Personengruppe.
Vielleicht sogar weniger. Ich stelle mir gerade vor, in Deutschland wäre Krieg, Bürgerkrieg, eine Hungersnot, politische Verfolgung oder ähnliches, und mein Leben oder das meiner Familie wäre bedroht, und ich würde mich entschließen in ein anderes Land zu fliehen. Würde ich leichtfertig mein Aufenthaltsrecht in diesem anderen, fremden Land riskieren? Eher nicht.
Wie würde es mir gehen in diesem fremden Land. Nach dem Empfang zunächst einmal untergebracht in einem Wohnheim. Ohne Arbeitserlaubnis. Ohne Gewissheit, wie es denn weitergeht. Ob ich bleiben darf oder nicht. Was mit mir geschieht, wenn nicht. Muss ich zurück in mein Heimatland, aus dem ich geflohen bin, oder bekomme ich die Chance, weiter zu ziehen. Nein, ich glaube ich würde zunächst versuchen nicht zu riskieren, als straffällig gewordener Asylbewerber gleich wieder nach Hause zurück geschickt zu werden. Mit dieser Grundannahme begegne ich diesen Menschen.
Und ich begegne ihnen mit der Grundannahme, dass sie Not, Gewalt, Bedrohung und Verfolgung hinter sich haben. Dass möglicherweise sie selbst, oder Mitglieder ihrer Familie Gewalt – körperlich oder psychisch – ausgesetzt waren. Und dass dies Spuren hinterlässt. Angst, Verschlossenheit, Sprachlosigkeit. Und auch wie sie in unserem Land empfangen werden ist größtenteils nicht vertrauensbildend. Auch dies will ich respektieren, und nicht erwarten dass ich mit offenen Armen empfangen werde wenn ich hallo sage.
Und überhaupt. Tragen wir keine Verantwortung für das Schicksal der Menschen, die bei uns Zuflucht suchen? Ist es etwa nicht so, dass unsere Politik der Unterstützung politischer Systeme, vor allem durch den Verkauf von Waffen, sich schon oft als sehr tragisch erwiesen hat. Auch, aber nicht nur in Syrien, das eines der Länder ist, aus dem heute die Menschen fliehen. Und geht Verantwortung nicht zwangsweise so weit, dass ich, wenn ich hier in Deutschland Parteien wähle, die den Waffenverkauf und ganz allgemein die Unterstützung von Machthabern (im Politikersprech “Freunden”) fördern, auch die Konsequenzen dieses Handelns mit tragen muss? Ich denke schon.
Und was ist mit der Realität, die sagt, wir werden soundsoviele Asylbewerber im Enzkreis aufnehmen? Tun wir dies nicht in Steinegg, dann tun wir es anderswo. Ist deshalb nicht jeder Versuch, ein Asylanten-Wohnheim an einem Standort zu verhindern, ein – in der Logik der Widerständler – Affront gegenüber denen, die dann die neuen Nachbarn wären? Aber Hilfsbereitschaft und Solidarität waren schon immer einfacher, wenn sie anonym, irgendwo fernab meiner eigenen Haustür stattfinden. Sobald die Realität des Krieges in einer Region sich ausbreitet bis vor meine Haustür – dann ist Schluss mit Bestürzung?
Und dann das ganze ausgerechnet zu Weihnachten. In einem christlichen Land. In einer doch recht konservativ christlichen Gemeinde. Ich kann nicht umhin, die Parallele zur Weihnachtsgeschichte drängt sich förmlich auf. Sind wir die Gastwirte, die nur sagen “Hier ist alles besetzt. Kein Platz mehr. Geht weiter.”. Oder was war das mit Mitgefühl und Barmherzigkeit, und kann und will ich denen Wohnung geben, die keine haben. Die aus Not ihre Heimat verlassen haben. Von denen viele sich nichts sehnlicher wünschen als endlich wieder ruhig zu schlafen. Ohne Angst vor Gewalt, Verfolgung und Krieg.
Wer sich unter “Asylbewerber” nicht mehr vorstellen kann als Personen, die aus finanzieller Not, und auf unsere Kosten, fröhlich ein Schiff oder Flugzeug nach Deutschland besteigen, um hier gemütlich die Füße hochzulegen, unsere Frauen und Mädchen zu belästigen, uns zu bestehlen und zu verletzen – der hat wohl einiges noch nicht verstanden. Und der fordert mich geradezu heraus, mich engagiert und konsequent für das Asylanten-Wohnheim Steinegg einzusetzen.
Weiterführende Literatur:
Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten: Gauck wünscht sich mehr Hilfe für Syrien-Flüchtlinge
Flüchtlinge: “Was machen die den ganzen Tag?”
Asyl: Fakten gegen Stimmungsmache
Kochbuch von Asylsuchenden: Nächstenliebe, die durch den Magen geht